II.
"Die Innenstadt ist das Gesicht der
Stadt, und dieses Gesicht glänzt nicht
überall... Wir brauchen mehr Raum für
Begegnung in den Innenstädten, soziale
Einrichtungen, mehr Wohnungen und
mehr Arbeiten."
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer
des Städtetages
"In dieser Altstadt sieht's aus
wie früher beim Honecker -
lauter Schrott-Immobilien!"
"Da haste mal recht, du
glotzender Volltrottel!"
"An der falschen Tür hab ich mir
'ne Beule geholt...!"
Motzki, völlig neu geföhnt
"Reden im Konjunktiv macht hässlich, Freunde!" Homunculi, der weiß, was Hässlichkeit bedeutet
"Mua muahaha XXL hahamuaa!"
Emoji-Sprache für: "Du verbeulter
XXL-Trottel!"
Ohne Eigenkapital keine Hilfe
Natürlich sind staatliche Sanierungsprogramme nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch
fördern sie bei Hauseigentümern nicht unbedingt das Gespür für Baukultur. Doch das Haupt-
problem sind die Sanierungen, die unterbleiben, weil die Eigentümer sie sich nicht leisten
können. Ohne eigenes Geld keine Zuschüsse - daher tut sich in der westlichen (wie zuvor
in der östlichen) Altstadt leider zu wenig.
1.
"Die bisherige Einordnung in reine
Wohngebiete oder Mischgebiete mit
eingeschränkter Verwendung der
Nutzungsarten ist nicht mehr zeit-
gemäß. Deutschlands Städte müssen
die Möglichkeit haben, bezahlbares
Wohnen, Arbeiten und Einkaufen in
einem Quartier anzubieten."
Andreas Mattner, Präsident des
Zentralen Immobilienausschusses
Das Nikoläuschen vor seinem
maroden Häuschen: Im Schatten
des mittelalterlichen Rheintors steht
Andernachs größte Problem-Immobilie.
Zur Wahrung der Verkehrssicherheit
hat die Stadt die morsche Balkon-
brüstung entfernt und die Statue des
Heiligen ins städtische Museum
gebracht, um sie zu sanieren.
Galerie des Verfalls: wie umgehen mit investitionsunwilligen Hauseigentümern?
© 2009-2023 Wolfgang Broemser
III.
"Wir glauben an die Innenstädte, sie
werden ein Lebenszentrum der
Menschen bleiben."
Tobias Sauerbier von Signa Real Estate,
der die "Monokulturen mit den immer
gleichen Filialisten" überwinden will.
Dasselbe Ziel verfolgt auch, nach dem
Andernach.
O wie verführerisch oder: Die Musik spielt wieder in der Mitte (Teil 2)
Sanierungs(un-)fälle im Steinweg: So geht's (rechts) und so eher nicht (links). Am linken Haus
stört nicht nur die unpassende Farbe, sondern auch das unpassende Trompe-l´oeil (von den Müll-
tonnen ganz zu schweigen).

Sanierungsstau in den Rheingassen
Für das Image einer Stadt sind aber nicht nur spektakuläre Neubauten wichtig, sondern auch
das Bauen im Bestand. Viele Häuser der Andernacher Altstadt befinden sich in einem deso-
laten Zustand, vor allem in den Gassen, die zum Rhein führen. Weil sie das Entrée zur Alt-
stadt bilden, ist dies auch touristisch von Nachteil, erst recht, seit das neue Geysir-Zentrum
so viele Besucher anlockt. Der östliche Teil der Altstadt war bereits Teil des Bund-Länder-
Programms "Städtebauliche Erneuerung", das Städten und privaten Eigentümern bei der
Sanierung ihrer Häuser, Straßen und Plätze hilft. Anschließend wurde der westliche Teil
(Kirchstraße, Steinweg) in das Programm aufgenommen. Die Stadt hat Mittel aus diesem
Topf genutzt, um das Umfeld des Mariendoms von Parkplätzen zu befreien und das neue
Parkdeck an der Kölner Straße zu realisieren.
...und ein neues, "kulinarisches" Stadtmuseum
Ein Neubau wird notwendig, weil der jetzige Standort in einem Renaissancegebäude aus
allen Nähten platzt, nicht barrierefrei ist und seine Schätze nicht angemessen präsentieren
kann. Da Andernach Vorreiter in urbaner Landwirtschaft ist - in der Stadt verteilt finden sich
Beete und Gärten zur Ernte für alle ("Essbare Stadt") -, soll das neue Museum 2000 Jahre
Stadtgeschichte mit 2000 Jahren Ernährungsgeschichte der Einwohner verknüpfen. Dieses
völlig neuartige, deutschlandweit einmalige Konzept könnte überregionale Strahlkraft ent-
wickeln und bis zu 50.000 Besucher im Jahr anlocken. Auf dem ehemaligen Parkplatz am
Runden Turm ist ein Nutzgarten vorgesehen, der das Stadtklima verbessert und historische
Kultivierungstechniken zeigt. Eine Museumsküche könnte die historischen Lebensmittel
verarbeiten, ein kleines Café die Resultate servieren (die Betriebsart ist noch unklar).
Strittig ist, wo genau das auf das Kofferwort "Culinacum"* getaufte Museum platziert wird.
Städtebauliche Entgleisung oder moderner Leuchtturm?
Die Stadtspitze möchte den Neubau an beiden Seiten der Stadtmauer am nördlichen Ende
des Platzes andocken. Der größere Teil mit dem Haupteingang soll jenseits der Mauer, auf
dem ehemaligen kleinen Parkplatz am Fuß des Runden Turms, entstehen, der kleinere Teil
diesseits der Mauer auf dem großen Platz. Die Errichtung des kompletten Neubaus auf dem
großen Platz wird nicht favorisiert, weil dem Museum hier angeblich eine "Hinterhof-Atmo-
sphäre" droht, hervorgerufen durch den Bau der neuen Wohnhäuser an der Hochstraße.
Nummer zwei. Denn eine Auslagerung des Museums nach jenseits der Mauer, direkt an den
Runden Turm, rückt dem Wahrzeichen der Stadt zu dicht auf die Pelle und schmälert seine
Wirkung, wie die Grünen im Stadtrat zu Recht kritisieren. Daher sollte der geplante Archi-
tektenwettbewerb auch Vorschläge für einen Neubau auf dem großen Platz zulassen. Würde
das "Culinacum" hier prominent platziert und zugleich Abstand zum Runden Turm wahren,
*) Gebildet aus dem lat. Wort culina (für Küche, Essen) und dem Namen der keltischen Siedlung Antunnacum, aus der Andernach hervorging
Der Stadtkern muss revitalisiert werden
Andernachs Verwaltung erteilte zuletzt vermehrt Baugenehmigungen für Wohnhäuser in der
Innenstadt. Sie verfolgt damit dasselbe Ziel wie mit der Stadthausgalerie: neue Kunden und
Bewohner ins Zentrum zu locken. Die neuen Bewohner könnten dabei helfen, den Nieder-
gang des stationären Handels aufzuhalten. Allerdings wird der Leerstand von Läden am be-
sten durch Händler bekämpft, die die Online-Konkurrenz als Ansporn zu mehr Kreativität
gestrichen haben, mit Sicherheit nicht.)
Neue Wohnungen am Runden Turm...
Neue Wohnungen entstanden auf dem ehemaligen Weissheimer-Areal, aber wegen der
dort ausgegrabenen archäologischen Funde nur entlang der Hochstraße, vis-à-vis dem
Kolpinghaus. Als zusätzliche Fläche kommt nun der freie Platz am Runden Turm in Frage,
nachdem der dortige Parkplatz durch ein neues Parkdeck an der Kölner Straße ersetzt
ging, möchte hier neue Wohnhäuser bauen - entlang der Hochstraße, zwischen dem Alten
Bürgermeisterhaus und der Stadtmauer, so dass die Baulücke, die durch Abrisse in den
1970-er Jahren entstand, wieder geschlossen würde. Der Verwaltung kommt das Angebot
zupass, nicht nur, weil neue Wohnungen die Altstadt beleben, sondern auch, weil der Erlös
aus dem Grundstücksverkauf helfen soll, den Neubau des Stadtmuseums, der hier geplant
ist, zu finanzieren.
In Andernach steht derzeit, wie in vielen Städten, die Innenentwicklung auf der Agenda, die
Nachverdichtung des Zentrums mit neugebauten Wohnungen. Frühe Pioniere dieser Ent-
wicklung waren die Einfamilienhäuser in der Oberen Wallstraße (s. Bildgalerie). Häufig
haben sich die Innenstädte im Zug der Funktionsentmischung zu reinen Büro- und Handels-
zonen gewandelt, weil in ihnen Wohnungen gemäß der Baunutzungsverordnung von 1962
nur ausnahmsweise zulässig waren. Die Sicht hat sich aber gewandelt: Neue Wohnhäuser
im Stadtzentrum sollen die Innenstädte wieder beleben und zu einem Ort der Begegnung
machen. Auf die Suburbanisierung soll die Reurbanisierung folgen.
wäre es ein Blickfang wie dieser, ein moderner Leuchtturm, der auf einen mittelalterlichen
Leuchtturm trifft. Eingebettet in einen historischen Nutzgarten und durch Gastronomie
belebt, könnte das Museum den Kern eines reizvollen Innenhofs, nicht Hinterhofs, bilden,
sichtigten Lückenschluss an der Hochstraße. Das erschwert die Aufgabe, einen neuen
Leuchtturm zu schaffen, der mit dem alten in "friedlicher Koexistenz" lebt, beträchtlich.
Lost Places hinterm Geysir-Zentrum
Ein richtiger Skandal und eine Verschandelung des Stadtbilds sind die seit Jahren leer
stehenden und dem Verfall preisgegebenen Häuser vor allem in der Mauer- und in der
Rheinstraße. Die abschreckende Wirkung dieser Problem-Immobilien ist der Grund für
die von einheimischen Geschäftsleuten beklagte mangelnde Durchlässigkeit zwischen
Rheinanlagen und Altstadt, dafür, dass Touristen sich nicht ins Stadtinnere vorwagen. Die
Eigentümer der Geisterhäuser sabotieren somit die Chance, dass auch der Handel und die
Gastronomie vom Geysir-Tourismus profitieren. Doch die Gründe dafür, warum sie ihre
Häuser sich selbst überlassen, liegen auf der Hand. Das Mietniveau in den Gassen der Alt-
stadt ist eher niedrig, was Sanierungen unrentabel macht. Es gibt kaum überzeugende
Nutzungskonzepte - ins Erdgeschoss passt vielleicht Gewerbe, aber was passt in die oberen
Etagen? Büros oder frei finanzierte Wohnungen sind problematisch wegen des schlechten
Rufs der Rheinstraße (Kneipen, Spielhallen). Diese Straße ist außerdem für den Autoverkehr
zu eng, was eine Aufwertung der Bausubstanz mittels Stellplätzen unmöglich macht. Aber
auch wenn die Inaktivität der Eigentümer erklärlich ist - sie schadet allen, ihnen selbst und
der Stadt.
Leerstand verstößt gegen das Gesetz
Der Leerstand von Häusern verstößt gegen das Grundgesetz - Sozialverpflichtung des
Eigentums - und gegen das Zweckentfremdungsverbot. Bundesländer wie Hamburg oder
Sanierung der beschlagnahmten Immobilie. Auch der rheinland-pfälzische Landtag berät zur
Zeit ein solches Gesetz, das allerdings nur in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt wie
Mainz oder Trier zum Zuge kommen soll.
Geld ist da, aber der Wille fehlt
Andernach würde davon also nicht profitieren. Doch ist durch den jahrelangen Leerstand
der Verkehrswert der Problemhäuser erheblich gesunken. Die Eigentümer müssten sich von
unrealistischen Preisvorstellungen lösen. Das könnte die Möglichkeit eröffnen, dass die Stadt
zum Beispiel das Nikolaushaus günstig erwirbt, es kernsaniert und in ihm Sozialwohnungen
einrichtet. Da es sich um keinen Neubau handelt, würde die Stellplatzpflicht entfallen, was
Kosten spart. Es könnte Wohnraum für finanziell schwache Bürger ohne Auto geschaffen und
das Stadtbild aufgewertet werden. Genug kommunales Geld ist vorhanden: Andernach hat
sich in den letzten Jahrzehnten ein Polster von 120 Millionen Euro zugelegt. Aber genauso
wichtig wie liquide Mittel ist der Wille, sie zu nutzen, wie der geplante Neubau des Stadt-
museums zeigt. Dort ist dieser Wille nicht gegeben, wird stattdessen der Platz am Runden
zu springen, das ein Investor der Stadt hinhält. Wenn man weiß, dass dieser Investor ein
wichtiger Gewerbesteuerzahler ist, ahnt man, dass die Hosen der Verantwortlichen wohl
ähnlich voll sind wie der kommunale Sparstrumpf...