Zurück in die Zentren oder: Die Musik spielt
wieder in der Mitte (Teil 1)
"Reden im Konjunktiv macht hässlich, Freunde!" Homunculi
In Andernach steht derzeit, wie in vielen Städten, die Innenentwicklung auf der Agenda, die Nachverdichtung des
Zentrums mit neugebauten Wohnungen. Frühe Pioniere dieser Entwicklung waren die Einfamilienhäuser in der
Oberen Wallstraße (s. Bildgalerie). Häufig haben sich die Innenstädte im Zug der Funktionsentmischung zu reinen
Büro- und Handelszonen gewandelt, weil in ihnen Wohnungen gemäß der Baunutzungsverordnung von 1962 nur
ausnahmsweise zulässig waren. Die Sicht hat sich aber gewandelt: Neue Wohnhäuser im Stadtzentrum sollen die
Innenstädte wieder beleben und zu einem Ort der Begegnung machen. Auf die Suburbanisierung soll die Re-
urbanisierung folgen.
...und ein neues, "kulinarisches" Stadtmuseum?

Ein Neubau wird erwogen, weil der jetzige Standort in einem Renaissancegebäude aus allen Nähten platzt, nicht
barrierefrei ist und seine Schätze nicht angemessen präsentieren kann. Da Andernach Vorreiter in urbaner Land-
wirtschaft ist - in der Stadt verteilt finden sich Beete und Gärten zur Ernte für alle ("Essbare Stadt") -, soll das                                  
neue Museum 2000 Jahre Stadtgeschichte mit 2000 Jahren Ernährungsgeschichte verknüpfen. Dieses innovative
Konzept könnte, so die Hoffnung, auch für auswärtige Besucher attraktiv sein und das ganze Jahr über bis zu 
50.000 Menschen anlocken. Auf dem ehemaligen Parkplatz am Runden Turm ist ein Nutzgarten vorgesehen, der  
das Stadtklima verbessert und historische Kultivierungstechniken zeigt. Eine Museumsküche könnte die histori-
schen Lebensmittel verarbeiten und historische Menüs servieren. Es ließe sich speisen wie zu Zeiten der Römer,
Ritter und Romantiker - vorausgesetzt, es fänden sich ein geeigneter Pächter und ein geeigneter Koch. Eine                                 
solche Erlebnisgastronomie, einzigartig in der Region, wäre für einen erfolgreichen Museumsbetrieb sicher un-
erlässlich. Noch strittig ist, wo das auf das Kofferwort "Culinacum" *) getaufte Museum platziert werden soll.                                                                             
*) Gebildet aus lat. culina für Küche und der Endsilbe des keltischen Stadtnamens Antunnacum                                                                                                                                                                                                           
Städtebauliche Entgleisung oder moderner Leuchtturm?

Die Stadtspitze möchte den Neubau an beiden Seiten der Stadtmauer am nördlichen Ende des Platzes andocken.
Der größere Teil mit dem Haupteingang soll jenseits der Mauer, auf dem ehemaligen kleinen Parkplatz am Fuß  
des Runden Turms, entstehen, der kleinere Teil diesseits der Mauer auf dem großen Platz. Die Errichtung des
kompletten Neubaus auf dem  großen Platz wird nicht favorisiert, weil dem Museum hier angeblich eine "Hinter-
hof-Atmosphäre" droht, hervorgerufen durch den Bau der neuen Wohnhäuser an der Hochstraße. Damit würde  
aber auf den städtebaulichen Sündenfall Nummer eins der städtebauliche Sündenfall Nummer zwei folgen. Denn
eine Auslagerung des Museums nach jenseits der Mauer, direkt an den Runden Turm, rückt dem Wahrzeichen der
Stadt zu dicht auf die Pelle und schmälert seine Wirkung, wie die Grünen im Stadtrat zu Recht monieren. Daher
sollte der geplante Architektenwettbewerb auch Vorschläge für einen Neubau auf dem großen Platz zulassen.
Würde das "Culinacum" hier prominent platziert und zugleich Abstand zum Runden Turm wahren, wäre es ein
Blickfang wie dieser, ein moderner Leuchtturm, der auf einen mittelalterlichen Leuchtturm trifft, ohne ihn in den
Schatten zu stellen. Eingebettet in einen historischen Nutzgarten und durch Gastronomie belebt, könnte das
Museum den Kern eines reizvollen Innenhofs, nicht Hinterhofs, bilden, wie der Architekt Amerkamp betont. Die
Hoffläche schrumpft aber durch den beabsichtigten Lückenschluss an der Hochstraße. Das erschwert die Auf- 
gabe, einen neuen Leuchtturm zu schaffen, der mit dem alten in "friedlicher Koexistenz" lebt, beträchtlich.
Galerie des Verfalls: wie
umgehen mit investitions-
unwilligen Hauseigentümern?
Sanierungsstau in den Rheingassen

Das Image einer Stadt hängt aber nicht nur von spektakulären Neubauten ab, sondern auch von geglückten
Sanierungen, vom Bauen im Bestand. Viele Häuser der Andernacher Altstadt befinden sich in einem desolaten
Zustand, vor allem in den Gassen, die zum Rhein führen. Weil sie das Entrée zur Altstadt bilden, ist dies auch
touristisch von Nachteil, erst recht, seit das neue Geysir-Zentrum neue Besucher anlockt. Der östliche Teil der
Altstadt war bereits Teil des Bund-Länder-Programms "Städtebauliche Erneuerung", das Städten und privaten
Eigentümern bei der Sanierung ihrer Häuser, Straßen und Plätze hilft. Anschließend wurde der westliche Teil
(Kirchstraße, Steinweg) in das Programm aufgenommen. Die Stadt hat Mittel aus diesem Topf genutzt, um das
Umfeld des Mariendoms von Parkplätzen zu befreien und das neue Parkdeck an der Kölner Straße zu bauen.
Ohne Eigenkapital keine Hilfe

Natürlich sind staatliche Sanierungsprogramme nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch fördern sie bei Haus-
eigentümern nicht unbedingt das Gespür für Baukultur. Doch das Hauptproblem sind die Sanierungen, die unter-
bleiben, weil die Eigentümer sie sich nicht leisten können. Ohne eigenes Geld keine Zuschüsse - daher tut sich    
in der westlichen wie zuvor in der östlichen Altstadt leider zu wenig.
Sanierungs(un-)fälle im Steinweg: So geht's (rechts) und so eher nicht (links). Am linken Haus stört
nicht nur die unpassende Farbe, sondern auch das unpassende Trompe-l´oeil - von den Mülltonnen
ganz zu schweigen.        
Lost Places hinterm Geysir-Zentrum

Auf skandalöse Weise verschandeln die seit Jahren dem Verfall preisgegebenen Häuser vor allem in der Mauer-
und Rheinstraße das Stadtbild. Viele Wohnungen dürfen wegen bau- und brandschutztechnischer Mängel nicht
mehr genutzt werden. Die abschreckende Wirkung dieser Immobilien ist der Grund für die von einheimischen
Geschäftsleuten beklagte mangelnde Durchlässigkeit zwischen Rheinanlagen und Altstadt, dafür, dass Touristen
sich nicht ins Stadtinnere vorwagen. Die Eigentümer der Geisterhäuser vereiteln die Chance, dass auch der Han-
del und die Gastronomie vom Geysir-Tourismus profitieren. Allerdings liegen die Gründe, warum sie ihre Häuser
sich selbst überlassen, auf der Hand. Das Mietniveau in den Altstadtgassen ist niedrig, was Sanierungen unren-
tabel macht. Nutzungskonzepte zu finden fällt schwer - ins Erdgeschoss passt vielleicht Gewerbe, aber was in die   
oberen Etagen? Büros oder frei finanzierte Wohnungen sind problematisch wegen des schlechten Rufs der
Rheinstraße (Kneipen, Spielhallen, damit verbundene Ruhestörungen). Die Straße ist für Autos zu eng, was eine 
Aufwertung der Häuser durch Garagen unmöglich macht. Doch auch wenn die Inaktivität der Eigentümer erklär- 
lich ist - sie schadet allen, ihnen selbst und der Stadt. Wie unterentwickelt ist die Phantasie? Gilt auch in Ander-
nach: Wer zu wenig Geld hat, kann keine entwickeln, und wer zu viel Geld hat, braucht keine zu entwickeln?
Leerstand verstößt gegen das Gesetz

Der Leerstand von Wohnhäusern verstößt gegen das Grundgesetz - Sozialverpflichtung des Eigentums - und gegen
das Zweckentfremdungsverbot. Hamburg und Berlin haben Gesetze erlassen, die Strafzahlungen vorsehen oder  
gar eine treuhänderische Sanierung der beschlagnahmten Immobilie. Auch der rheinland-pfälzische Landtag berät
zur Zeit ein solches Gesetz, das allerdings nur in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Mainz oder Trier
zum Zuge kommen soll. Eigentum genießt in Deutschland bekanntlich einen starken Schutz. Daher erfährt niemand
ohne berechtigtes Interesse, wem ein Haus gehört. Diese Daten sind in einem deutschen Amtsgericht so sicher
verwahrt wie die amerikanischen Goldvorräte in Fort Knox.
Möglich ist so manches, doch es fehlt der Wille

Die Stadt könnte ein berechtigtes Interesse anmelden. Die Bausubstanz und also der Verkehrswert der Problem-
Immobilien - unsaniert, nicht energieeffizient - leiden unter dem jahrelangen Leerstand. Die Preise müssten sich  
im Sinkflug befinden. Das wäre eine Chance, etwa das Nikolaushaus am Eingang der Rheinstraße zu erwerben, 
dort Sozialwohnungen zu schaffen und das Stadtbild an dieser eminent wichtigen Stelle aufzupolieren (oder das
Gebäude zwangsversteigern zu lassen). Andernach ist stolz auf seine "Rücklagen", sprich sein Sachvermögen von
120 Millionen Euro. Es könnte durch den Verkauf von Liegenschaften Geld für Wohnbau und Kulturprojekte erlösen,
schreckt davor aber zurück - warum? Es fehlen die Ambition, der politische Wille, wie der abgesagte Neubau des
Stadtmuseums zeigt. Der neue Oberbürgermeister und ein Großteil des Stadtrats mimten die Bedenkenträger,
sahen in den Bau- und Betriebskosten des "Culinacums" unkalkulierbare Risiken. Ein neues Haus für das materielle
Erbe Andernachs, ein Fachmuseum für Ernährung, ein Architektur-Highlight für die westliche Altstadt - all' das
erschien als überflüssiges Elite-Projekt, wurde einem Banausentum geopfert, das sich für politisch klug, für ver-
antwortungsvoll gegenüber dem Bürger hält. Doch dahinter verbirgt sich nur die Aversion gegen das Nicht-
alltägliche. Schlaffis spielen sich als Schlaumeier auf. Der Verzicht auf das neue Museum soll Andernach davor
bewahren, zu verarmen, Haushaltsdefizite anzuhäufen - in Wahrheit ist er ein Indiz für geistige Schlichtheit und
lässt die Stadt kulturell verarmen. Wenn Geld nur noch für Sozial- und Infrastrukturprojekte da sein darf, fehlen
Einnahmen aus dem, was eine Stadt besonders macht.
© 2009-2025 Wolfgang Broemser
I. .................................................
"Die bisherige Einordnung in reine
Wohngebiete oder Mischgebiete
mit eingeschränkter Verwendung
der Nutzungsarten ist nicht mehr
zeitgemäß. Deutschlands Städte
müssen die Möglichkeit haben,
bezahlbares Wohnen, Arbeiten
und Einkaufen in einem Quartier
anzubieten."
Andreas Mattner, Präsident des
Zentralen Immobilienausschusses
II. ..............................................
"Die Innenstadt ist das Gesicht
der Stadt, und dieses Gesicht
glänzt nicht überall... Wir brau-
chen mehr Raum für Begegnung
in den Innenstädten, soziale Ein-
richtungen, mehr Wohnungen
und mehr Arbeiten."
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer  
des Städtetages
III. .............................................
"Wir glauben an die Innen-
städte, sie werden ein Lebens-
zentrum der Menschen bleiben."
Tobias Sauerbier von Signa Real
Estate, der die "Monokulturen mit
den immer gleichen Filialisten"
überwinden will. Dasselbe Ziel
verfolgt auch die Stadt Andernach
nach dem Erwerb der Stadthaus-
galerie,
"In der Altstadt sieht's ja
schlimmer aus als früher
beim Honecker - lauter
Schrott-Immobilien!"
"Da haste mal recht, du
glotzender Volltrottel!"
Das Nikoläuschen vor seinem
maroden Häuschen: Im Schat-
ten des mittelalterlichen Rhein-
tors steht Andernachs größte
Problem-Immobilie. Zur Wah-
rung der Verkehrssicherheit   
hat die Stadt die morsche
Balkonbrüstung entfernt und
die Statue des Heiligen ins
städtische Museum gebracht,
um sie zu restaurieren.
"An der falschen Tür hab ich
mir 'ne Beule geholt...!"
Motzki, völlig neu geföhnt
"Mua muahaha XXL
hahamuaa!"
Emoji-Sprache für: "Du
verbeulter XXL-Trottel!"
 
Der Stadtkern muss revitalisiert werden

Andernachs Verwaltung erteilte zuletzt vermehrt Baugenehmigungen für Wohnhäuser in der Innenstadt. Sie       
verfolgt damit dasselbe Ziel wie mit der Stadthausgalerie: neue Kunden und Bewohner ins Zentrum zu locken. Die
neuen Bewohner könnten dabei helfen, den Niedergang des stationären Handels aufzuhalten. Allerdings wird der   
Leerstand von Läden am besten durch Händler bekämpft, welche die Online-Konkurrenz als Ansporn zu mehr     
Kreativität verstehen. (Zu ihnen gehörten die Mieter der Stadthausgalerie, die inzwischen die Segel gestrichen
haben, mit Sicherheit nicht.)
Neue Wohnungen am Runden Turm...

Neue Wohnungen entstanden auf dem ehemaligen Weissheimer-Areal, aber wegen der dort ausgegrabenen
archäologischen Funde nur entlang der Hochstraße, vis-à-vis dem Kolpinghaus. Als zusätzliche Fläche kommt der
freie Platz am Runden Turm in Frage, nachdem der dortige Parkplatz durch ein neues Parkdeck an der Kölner Straße
ersetzt  wurde. Ein privater Investor, der bei der Grundstücksvergabe am Ernestus-Platz leer ausging, möchte hier
neue Wohnhäuser bauen - entlang der Hochstraße, zwischen dem Alten Bürgermeisterhaus und der Stadtmauer,  
sodass die Baulücke, die durch Abrisse in den 1970er-Jahren entstand, wieder geschlossen würde.  Der Verwal-
tung kommt das Angebot zupass, nicht nur, weil neue Wohnungen die Altstadt beleben, sondern auch, weil der
Erlös aus dem Grundstücksverkauf helfen soll, den Neubau des Stadtmuseums, der hier geplant ist, zu finanzieren.