Hoch, höher, Namedy!
"Die höchste Verkörperung der Leichtigkeit, in welche die Atmosphäre des
Stromes das Leben zu verwandeln vermag, ist Namedy." Helmut Domke
Wenn aus einer Sprudelflasche das Wasser spritzt, interessiert das keinen, wenn es aus einem Brunnenloch
sprudelt, kommen Zehntausende. Eben das passiert auf dem Namedyer Werth, einer Halbinsel wenige Kilometer
rheinabwärts von Andernach. Ungefähr alle 120 Minuten schießt hier eine Fontäne je nach Windverhältnissen
bis zu 60 Meter hoch aus dem Boden.
Künstlich provozierter Ausbruch
Der höchste Kaltwasser-Geysir der Welt verdankt sich dem vulkanisch aktiven Untergrund der Osteifel. Aus
einer Magmakammer entsteigt Kohlendioxid, dringt durch Risse im Schiefer nach oben und löst sich wegen des
Drucks in tiefen Grundwasserschichten. Kohlendioxidhaltiges Grundwasser füllt einen auf dem Werth gebohrten
350 Meter tiefen Brunnen bis zum Rand auf. In der Wassersäule steigen Kohlendioxid-Blasen empor, die mit
abnehmendem Druck in der Säule immer größer werden. Dadurch treiben sie das Wasser aus dem (geöffneten)
Brunnen; es kommt zu einer Eruption, die sechs bis acht Minuten anhält, so lange, bis der Brunnen entleert ist.
Danach strömt der Anlage erneut Grundwasser zu, und der Vorgang wiederholt sich - vier Mal am Tag. Ent-
sprechend oft landet das Geysir-Schiff neue Besucher an. Abends (und im Winter) wird der Brunnen mit einem
Absperrschieber verschlossen, damit er nicht mehr springen kann und vor Vandalismus geschützt ist. Das Gas
entweicht dann direkt aus dem Boden in die Atmosphäre.
Dornröschen in der Tiefe
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Brunnen durch spielende Kinder und Besatzungssoldaten erheblich
beschädigt. Daher erbohrte die Firma Deilmann in den 1950er-Jahren eine neue Kohlendioxid-Quelle. Doch
wegen des geplanten Neubaus einer Bundesstraße mitten durch das Werth wurde das Bohrloch 1957 ver-
schlossen. 1990 verkaufte Deilmann das Gelände an die Stadt Andernach. Diese beschloss um die Jahrtausend-
wende, das Dornröschen in der Tiefe wieder wach zu küssen und es als touristischen Leuchtturm zu vermarkten.
Dafür reaktivierte man 2001 den Sprudel mit einer neuen Bohrung, was live in die Stadthalle übertragen wurde
und bei Älteren für feuchte Augen sorgte. Weil das Gebiet inzwischen aber unter Naturschutz stand, legte sich
der BUND quer. Die Naturschützer lenkten erst ein, als die Stadt Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den
Eingriff in die Halbinsel zusagte. Seitdem darf der Geysir wieder große Sprünge machen. Wegen der geschütz-
ten Tier- und Pflanzenarten auf dem Werth ist die Anreise nur per Schiff möglich.
Mehr als Selters, mehr als Sekt
Seit der Eröffnung des Geysir-Infozentrums kann das Naturspektakel von März bis Oktober täglich erlebt werden.
Es ist eigentlich nur Selters, sprich Wasser, was die Erde ausspuckt. Aber weil sie das so vehement macht wie
sonst nirgends, ist das Ganze wie Sekt. Oder gar Champagner. Das belegt die Aufnahme des Andernacher Sprudels
ins Guinness-Buch der Rekorde. Oder die Verblüffung, welche die Kunde vom Geysir auf der Internationalen
Tourismusbörse in Berlin auslöste.
Die Stadt rechnete anfangs mit 100.000 Besuchern pro Jahr (die Zahl wurde seither deutlich getoppt). Ziel war
und ist es, nicht nur den Geysir sprudeln zu lassen, sondern auch die Touristen - vor Konsumlust! Gastronomie
und Handel sollen von dem neuen Gästestrom profitieren. Beim eigens errichteten Infozentrum konnte die Stadt
dank Landeszuschüssen in die Vollen gehen: "Europas größte Experten" (so der Oberbürgermeister) sorgten für
die Ausstellungskonzeption und die Exponate. Für einen Weltmeister wie den höchsten Kaltwasser-Sprudel
müssen es, aber sicher, mindestens Europameister sein!

Der Geysir-Tourismus hat sich mittlerweile als Musterfall für sanften Tourismus entpuppt, der weder der Natur noch der Stadt
Schaden zufügt. Es wurde kein Massentourismus generiert, sondern ein klug kanalisierter Tourismus, der vornehmlich bildungs-
und zahlungswillige Gäste anlockt. Der Geysir ist in ein Edutainment-Programm eingebettet, welches das Naturverständnis fördert
und damit dem Naturschutz dient. Er springt nur vier Mal am Tag und kann nur per Schiff besucht werden. Der Geysir-Tourismus
schafft kein hektisches Drachenfels-und-Deutsches-Eck-und-Drosselgassen-Event-Spektakel. Er adressiert nicht die an ADHS
leidende Homo-sapiens-Unterart des gemeinen Touristen, sondern den Marco Polo des Alltags, den Erforscher und Erkunder
der eigenen Region und des eigenen Landes.
Das sollte die Andernacher Stadtspitze bedenken, wenn es um die neue Erschließung des Krahnenbergs, des Hausbergs der Stadt,
geht. Ein Schrägaufzug oder gar eine Seilbahn sind ein Vehikel für Massentourismus. Sie sind teuer und rentieren sich nur, wenn
sie Massen transportieren. Touristenmassen würden aber den Krahnenberg erdrücken; er darf und er kann nicht zu einem zwei-
ten Drachenfels oder einer linksrheinischen Loreley mutieren. Er sollte für die Einheimischen wieder ein attraktives Ausflugsziel
werden; dann darf sich auch der eine oder andere Ortsfremde wieder unter die Ausflügler mischen. Keep things small and
charming! Egoismus kann auch gesund, sprich: umweltfreundlich, sein.
"Die Einzigartigkeit des Geysirs
kann ein wesentlicher Vorteil für
die Vermarktung sein, ist aber
auch Verpflichtung, mit dieser
Attraktion nachhaltig und
umweltverträglich umzugehen."
Christian Heller, Geschäftsführer
der gemeinnützigen Geysir.Info
GmbH
"Andernach macht ja gaanz
große Sprünge...!"
"Der Reiz des Neuen verfliegt
schnell - es sei denn, das Neue
wird ständig neu erfunden."
"Niemand hat die Absicht, eine
Pumpe einzusetzen."
Ein ranghohes Mitglied der Stadt-
verwaltung, das garantiert kein
Sächsisch spricht, zu - von Neu-
wieder Hackern gestreuten? -
Gerüchten, dass der Geysir nicht
von selbst springt.
© 2009-2024 Wolfgang Broemser
■ Schon in der ersten kompletten Saison strömten 125.000 Besucher zum Geysir. Danach pendelte sich
die Zahl bei 115.000 ein.
■ Laut Umfrage sind 70 Prozent der Gäste mit dem Eintrittspreis und 94 Prozent mit dem Dreierpacket
(Erlebniszentrum, Schifffahrt, Geysir) einverstanden.
■ Die meisten Besucher kommen auf persönliche Empfehlung.
■ 59 Prozent besuchen nach dem Geysir auch die Andernacher Innenstadt.
■ 35 Prozent kommen aus Rheinland-Pfalz, ebenso viele aus NRW, der Rest aus den übrigen Bundes-
ländern und dem Ausland.
■ Allerdings sind nur zehn Prozent der Gäste "Wiederholungstäter".
Quelle: Geysir.info gGmbH
"Ihr werdet mich noch kennenlernen!" Der Typ bricht nicht aus, der will nur spielen...
Frühe Touristen, Rote Falken
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Sprudel erstmals erbohrt. Eine Privatfirma nutzte ihn zur Gewinnung
von Kohlensäure und Mineralwasser. Bald lockte das künstlich ausgelöste, aber natürlich ablaufende Schauspiel
erste Touristen an. In der Endzeit der Weimarer Republik hielten die Roten Falken auf dem Werth ihre Zeltlager
ab. An einem beteiligte sich der junge Willy Brandt, der darüber in seinen Erinnerungen Links und frei berichtet.