Sich als Gas nach oben boxen
Die große Rhetorikerin Angela Merkel
"Dass Sie das alles so toll geschafft haben, dafür habe ich ein großes Stück Ehrfurcht."
Wie ein Ufo im Schrebergarten wirkt das neue Geysir-Erlebniszentrum an der großzügig sanierten Konrad-
Adenauer-Allee (die ganz Kecke schon mit der Croisette in Cannes vergleichen). Der fast fensterlose Baukörper
soll an von Menschenhand - sprich: der Bimsindustrie - gespaltenes Vulkangestein erinnern. Und die Ausstellung
in seinem Innern mit den Grundlagen des Andernacher Kaltwasser-Geysirs vertraut machen, natürlich "interaktiv"
und "spielerisch", wie es heute Usus ist, um auch spröde Themen gut zu verkaufen. Als erstes fährt der Besucher
mit einem Schachtaufzug scheinbar 4000 Meter tief in eine mit Magma gefüllte, heiße Kammer - tatsächlich aber
geht es in den zweiten Stock. Illusion dient als Mittel, Erkenntnis so schmerzfrei, sprich kurzweilig, wie möglich
zu injizieren (denn wir wissen heute so viel, dass wir das Wissen insgeheim hassen).
Der Mensch im Blasenrausch
Den roten Faden bildet Kohlendioxid, das aus dem brodelnden Magma austritt und auf dem Weg nach oben auf
Grundwasser trifft. Mit ihm zusammen strebt es zur Erdoberfläche - und der Mensch strebt mit ihm. Durch Sand-
säcke muss er sich den Weg bahnen wie das Kohlendioxid durch den Schiefer. In einem "Blasenrauschraum" wird
er zu einem Molekül unter Molekülen. Er erklimmt steile Treppen, hinter deren Wänden Grundwasser gluckert.
In Plexiglassäulen darf er Mini-Geysire erzeugen, indem er Wasser mit Kohlendioxid nach oben pumpt. "Über"
der Erde angekommen, kann er von einem Skywalk auf dem Dach in Richtung Namedyer Werth blicken, dorthin,
wo die Fontäne sprudelt. Das Schiff bringt ihn in einer kurzen Fahrt zur Halbinsel - auf die Geysir-Theorie folgt
die Geysir-Praxis.
Ein Architektur-Schmetterling...
Das inklusive Einrichtung fünf Millionen Euro teure Geysir-Zentrum war vor und während der zweijährigen Bau-
zeit heftig umstritten. Nach langer Verpuppung - der frostige Winter hatte die Fertigstellung verzögert - entsprang
dann aber ein faszinierender Schmetterling zeitgenössischer Architektur, ein gebauter Exot, der an der Rheinufer-
promenade zunächst wie ein Fremdkörper wirkt.
...als Spiegelbild der Umgebung
Eine blaue Fensterfuge über der Eingangstreppe symbolisiert den Keil, mit dem der Mensch das Gestein in Blöcke
zerlegt. Sie drohen auseinanderzufallen, werden von der Architektur nur mühsam zusammengehalten. Über den
größeren Block sagt die Projektleiterin: "Der Besucher spürt, dass er unter den Stein, unter einen Felsvorsprung
in die Erde hineingeht, dem Ursprung des Geysirs entgegen". Das Konzept des Gebäudes verweist also auf die
heimatliche Landschaft, die Geologie der vulkanischen Osteifel. Folglich ist der skulpturale Solitär mit einheimi-
schem Vulkangestein, mit Weiberner Tuff und Mendiger Basalt, verkleidet. Die Mauern vieler Häuser in den Ge-
meinden der Pellenz bestehen aus Basalt; die Orte sitzen an der Quelle des wertvollen Gesteins, dessen Abbau
sie wohlhabend gemacht hat. Anderswo sind Natursteinbauten purer Luxus.
Eine echte Perle für die Provinz
Das Geysir-Zentrum ist für die Stadt eine Sensation. Zum zweiten Mal, nach dem mittelalterlichen Runden Turm,
hat die Politik ein Stück Baukunst von überregionaler Bedeutung zugelassen. Das Andernacher Architekturbüro
Rumpf, erfahren in der Arbeit für öffentliche Bauherren - nach seinen Plänen entstand schon das moderne Rat-
haus -, ist hier über sich selbst hinausgewachsen. In der "Konrad-Adenauer-Bauwerk-Perlenkette der großen
Fragezeichen", wie ein auswärtiger Architekt die heterogene Bebauung von Andernachs Prachtallee nannte, ist
dieses Projekt eine echte Perle. Man wird wehmütig bei dem Gedanken, dass die Leiterin des Projektteams eine
gute Chance hat, als Direktkandidatin ihrer Partei in den nächsten Bundestag einzuziehen. Abgeordnete hat das
Land eher zu viel - demnächst noch "Politclown" Horst Schlämmer?! -, von guten Architekten kann es nie genug
haben.

"Hallo, Frau Heil, die Fassade
von Ihrem Geysirhaus ist
nicht famos, sondern total
vermoost!"
>> Nachtrag: Tagträume einer Kanzlerin
Kaum ist man ein Jahr Bundestagsabgeordnete, schon hat man die - amtsmüde? - Kanzlerin am Hals: Im August
empfing Frau Heil Frau Merkel in ihrem Wahlkreis und stellte dem hohen Besuch das Geysir-Zentrum vor (Bild).
Ein Modell des Gebäudes haltend soll die Regierungschefin geraunt haben: "Wäre ich doch Physikerin geblieben,
dann könnte ich bei euch als wissenschaftliche Beraterin anheuern..." Dazu passt der Kommentar des namhaften
Psychologen Jürgen vom Scheidt, demzufolge "Träume nicht nur spannende Produkte unserer Phantasie sind,
sondern auch erstaunlich präzise Ratgeber, wenn man sich ihnen richtig nähert". Nicht auszuschließen, dass
Frau Merkel als Beraterin der städtischen Geysir-Gesellschaft besser performen würde wie als Kanzlerin...
"Verstehe den Geysir-Hype
nicht. Der Sprudel macht
mich nur nass, nicht an. Was
mich nicht anmacht, kann
zumachen, kapiche?"
I. .............................................
"Es gab Zweifel, ob wir mit so
einem klaren, sich überhaupt
nicht anbiedernden Entwurf in
Andernach einen Wettbewerb
gewinnen könnten. Die Zweifel
haben aber zum Glück nicht
dazu geführt, einem anderen
Entwurf den Vorzug zu geben."
Die Architektin und Projektleiterin
Mechthild Heil
II. ..........................................................
"Die interaktiven Exponate sind
Unikate, die es nur im Erlebnis-
zentrum gibt. Das ist nicht
selbstverständlich. In vielen
Wissenschafts-Centern sind
die gleichen Sachen zu finden.
Da hat sich Andernach schon
ins Zeug gelegt!"
Marco Unterhaslberger von Art
Department Babelsberg, dem
Ausstellungsmacher
"Ich kann es kaum erwarten, Kinder, ich bebe vor Vorfreude!"
Der Maulheld Vulkanius lässt mal wieder Dampf ab...
© 2009-2025 Wolfgang Broemser
Blick zum Namedyer Werth
Federzeichnung der 15-jährigen
Lore Silbereisen von 1922